Kostadin Kostadinov will aus der Nato austreten. Seine rechtsextreme Partei Wiedergeburt liegt bei zwölf Prozent.

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Unter dem Hashtag GazWithMe protestieren Bulgarinnen und Bulgaren seit Wochen dagegen, dass sich die technische Übergangsregierung zunehmend dem Kreml zuwendet und sogar überlegt, Verhandlungen mit der Gazprom aufzunehmen. Im April hatte die Gazprom Bulgarien unter einer damals noch prowestlichen Regierung den Gashahn wegen der EU-Sanktionen komplett zugedreht. Die Parlamentswahlen am Sonntag sind angesichts des Kampfes zwischen prowestlich und pro Kreml ausgerichteten Parteien für die geopolitische Ausrichtung des Landes von weitreichender Bedeutung. Und damit auch für den Rest Europas.

Bulgarien ist nicht nur energiepolitisch ein Schlüsselland für die EU. Falls prorussische Kräfte gestärkt würden, könnte das auch die EU-Sanktionspolitik verändern. Umfragen zufolge liegt die konservative Partei Gerb an erster Stelle, die in ihren Jahren an der Macht mit Korruption und Missbrauch von EU-Geldern in Verbindung gebracht wurde. Unter ihrer Regierung wurde auch die Pipeline Turk Stream mit russischem Gas realisiert – ein Geschenk für den Kreml.

Starker Präsident

An zweiter Stelle liegt die prowestlich orientierte Reformpartei "Wir setzen den Wandel fort", die von Dezember 2021 bis Juni 2022 an der Macht war, gegen Korruption und für eine unabhängige Justiz kämpfte, aber von einem kleinen Koalitionspartner gestürzt wurde. Auch die Sozialisten und die als komplett korrupt geltende Partei für Rechte und Freiheiten dürften über zehn Prozent bekommen. Andererseits liegen die beiden rechtsextremen Pro-Kreml-Parteien Wiedergeburt und Bulgarischer Aufstieg in den Umfragen sehr gut.

Der Harvard-Ökonom Kiril Petkov will mehr Rechtsstaatlichkeit.
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Der prorussische Block bekommt zudem Unterstützung durch den Präsidenten Rumen Radev, der in den vergangenen zwei Jahren zum Hauptgestalter bulgarischer Politik wurde. Denn die bulgarischen Bürger werden innerhalb der letzten zwei Jahre schon zum vierten Mal zur Parlamentswahl gerufen – so schwierig sind die Koalitionsbildungen. Und Radev, der gegen Sanktionen gegen den Kreml ist und sich prorussisch äußert, regiert über die häufigen Übergangsregierungen, die er einsetzt, praktisch wie der eigentliche Premier.

Nicht mit Borrisov

Petkov, der 42-jährige Harvard-Ökonom, ist der entscheidende prowestliche Gegenpart zum prorussischen Block. Im Gespräch mit dem STANDARD stellte er klar, dass er eine Koalition mit der Gerb, der Partei für Rechte und Freiheiten und den Rechtsextremen ausschließt. Petkov möchte mit der prowestlichen Zentrumspartei Demokratisches Bulgarien und den Sozialisten regieren. Die anderen Parteien seien "keine akzeptablen Partner für die Sache, um die es uns geht", sagte er. Die konservative Gerb unter dem langjährigen Premier Bojko Borrisov sei etwa gar nicht an Rechtsstaatlichkeit interessiert.

Auch die rechtsextreme Partei Wiedergeburt von Kostadin Kostadinov sei keine Alternative: "Wenn man unter einer derartigen Bedrohung von Russland auch nur daran denkt, die Nato zu verlassen, dann ist das wahnsinnig", sagt Petkov dem STANDARD. Eine mögliche Koalition der Gerb mit der Partei für Rechte und Freiheiten und der Wiedergeburt wäre insgesamt "prorussisch, extrem rechts und korrupt", warnt er. "Das wäre nahe einer Höllenregierung."

Falls er selbst wieder Premier wird, will Petkov als Priorität eine Antikorruptionskommission mit Ermittlungsbefugnissen schaffen und die Sicherheitsdienste reformieren. "Wenn diese beiden Bedingungen nicht erfüllt werden, machen wir nicht mit", so Petkov. Denn die Sicherheitsdienste, die seit dem Ende des Kommunismus nie um gewandelt wurden, würden als Schutzschirm für korrupte Netzwerke eingesetzt. Außerdem müssten sie einer parlamentarischen Kontrolle unterstellt werden. Zurzeit könne der Präsident die Leitung der Dienste bestimmen.

Problem für die Ukraine

Petkov möchte auch zeigen, dass Staatseinnahmen, die durch die Bekämpfung der Korruption generiert werden, den Bürgern zugutekommen und in die Sozialpolitik fließen. "Zuletzt konnten wir sicherstellen, dass Millionen von Euro nicht für Bauaufträge ausgegeben wurden, die nur der Korruption dienen sollten. Unsere Regierung hat eine Million Pensionisten durch Pensions erhöhungen von der Armutsgrenze weggebracht. Die Leute müssen spüren, dass es ihnen etwas bringt, wenn wir Rechtsstaatlichkeit einführen."

Petkov erinnert auch daran, dass Korruption in Bulgarien mit russischem Einfluss verbunden ist. So sei durch die Pipeline Turk Stream, die mit russischem Gas seit 2020 durch Bulgarien geht, für "die Ukraine eines ihrer größten geopolitischen Probleme kreiert" worden. Die bulgarischen Bürgerinnen und Bürger hätten zudem für etwas bezahlt, von dem sie nichts haben. Nun seien sie aufgerufen, am Sonntag eine weise Entscheidung zu treffen. (Adelheid Wölfl, 30.9.2022)